Entschädigung für Fluggäste bei Verspätung am Endziel von drei Stunden oder mehr
EuGH 26.2.2013, C-11/11
Die Fluggäste eines Flugs mit Anschlussflügen müssen entschädigt werden, wenn ihr Flug am Endziel mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr ankommt. Die Tatsache, dass die ursprüngliche Verspätung des Flugs die vom Unionsrecht festgelegten Grenzen nicht überschritten hat, wirkt sich nicht auf den Ausgleichsanspruch aus.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verfügte über eine Buchung für einen Flug von Bremen über Paris und São Paulo nach Asunción. Der von der beklagten Gesellschaft Air France durchgeführte Flug von Bremen nach Paris hatte von Beginn an Verspätung und startete mit einer Verspätung von fast zweieinhalb Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit.
Folglich verpasste die Klägerin ihren Anschlussflug von Paris nach São Paulo, der ebenfalls von Air France durchgeführt wurde, die die Klägerin auf einen späteren Flug mit demselben Zielort umbuchte. Aufgrund ihrer verspäteten Ankunft in São Paulo verpasste Frau Folkerts den ursprünglich geplanten Anschlussflug nach Asunción und kam dort erst mit einer Verspätung von elf Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit an.
Die mit der Rechtssache befassten deutschen Gerichte erster und zweiter Instanz gaben der auf Schadensersatz gerichteten Klage statt und verurteilten die Beklagte, der Klägerin einen Betrag i.H.v. 600 € nach der Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste zu zahlen. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein. Der BGH möchte vom EuGH wissen, ob dem Fluggast eine Ausgleichszahlung zusteht, wenn die Verspätung seines Flugs zum Zeitpunkt des Abflugs weniger als drei Stunden betrug, er aber sein Endziel mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit erreichte.
Die Gründe:
Dem Fluggast eines Flugs mit Anschlussflügen, dessen Verspätung zum Zeitpunkt des Abflugs unterhalb der in der Verordnung festgelegten Grenzen lag, der aber sein Ziel mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit erreicht hat, steht eine Ausgleichszahlung zu. Diese Ausgleichszahlung hängt nicht vom Vorliegen einer Verspätung beim Abflug ab.
Gegenstand der Verordnung ist die Gewährung von Mindestrechten für Fluggäste, die damit konfrontiert sind, dass sie gegen ihren Willen nicht befördert werden, dass ihr Flug annulliert wurde oder dass dieser verspätet ist. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass Fluggäste von erheblich verzögerten Flügen – d.h. eine Verspätung von drei Stunden oder mehr – ebenso wie Fluggäste, deren ursprünglicher Flug annulliert wurde und denen das Luftfahrtunternehmen keine anderweitige Beförderung anbieten kann, einen Ausgleichsanspruch haben, da sie in ähnlicher Weise einen irreversiblen Zeitverlust und somit Unannehmlichkeiten erleiden.
Da diese Unannehmlichkeiten im Fall verspäteter Flüge bei der Ankunft am Endziel eintreten, muss das Vorliegen einer Verspätung anhand der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, also am Zielort des letzten Flugs, beurteilt werden. Somit muss im Fall eines Flugs mit Anschlussflügen die pauschale Ausgleichszahlung anhand der Verspätung gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel bemessen werden. Andernfalls läge eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, weil Fluggäste, die ihr Endziel mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit erreichen, in Abhängigkeit davon, ob die Verspätung ihres Fluges gegenüber der planmäßigen Abflugzeit die in der Verordnung genannten Grenzen übersteigt oder nicht, unterschiedlich behandelt würden, obwohl ihre mit einem irreversiblen Zeitverlust verbundenen Unannehmlichkeiten identisch sind.
Die finanziellen Konsequenzen für die Luftfahrtunternehmen können zunächst gemindert werden, wenn das Luftunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Des Weiteren sind die Verpflichtungen aus der Verordnung unbeschadet des Rechts der Luftfahrtunternehmen zu erfüllen, bei sämtlichen Verursachern der Verspätung, einschließlich Dritten, Regress zu nehmen.
Schließlich können die Ausgleichszahlungen, die je nach der mit den betreffenden Flügen zurückgelegten Entfernung 250 €, 400 € oder 600 € betragen, nach der Verordnung noch um 50 Prozent gekürzt werden, wenn die Verspätung bei einem Flug über eine Entfernung von mehr als 3 500 km unter vier Stunden bleibt. Im Übrigen kann das Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen.
Quelle: EuGH PM Nr. 18 vom 26.2.2013